Martin Kähler
figurati!
Apr 13—May 26 2018
Martin Kähler – figurati !
Die Luft ist trocken, in den Ecken liegt Dreck. Figurati! ist Martin Kählers zweite Ausstellung in der FILIALE. Es ist keine Baustelle, sondern eine präzise gesetzte Vereinnahmung des Raumes. Schutt in seiner schönsten Form.
Figurati ist ein Ausruf aus dem Italienischen, der sich frei mit „stell dir vor!“ oder „denk nur!“ übersetzen lässt. Darin steckt die „Figur“, die ohne ein Gerüst oder eine Armierung keine wäre. Tragen und getragen werden, Stützen und Lehnen, Druck und Gegendruck richten in Martin Kählers Ausstellung unmögliche Konstruktionen auf und geben ihnen so eine Statur. Armierungen fungieren hier als Träger, aber auch als Formgeber. Strohfasern verstärken an der einen Stelle den porösen, teilweise gefärbten Gips und lassen ihn zu einem soliden Baustoff werden. An anderer Stelle ist es das goldfarbene Stroh selbst, das durch Armierungsgewebe in Form gebracht wird und sich so die Wand emporrankt. Zum gestalterischen Element der Balance kommt in der aktuellen Ausstellung das Raster hinzu. Aus über dreihundert Löchern an der Rückwand der Galerie ragen Strohhalme. Eine Installation, die unter dem Einfluss des Lichts wandernde Schatten wirft und so immer neue Zeichnungen auf der Wand entstehen lässt. Ein Raster überzieht auch die Fassade der FILIALE und strukturiert so nicht nur den Blick in den Ausstellungsraum, sondern auch den Blick hinaus.
Martin Kählers povere Materialien lassen an die Italienische Kunst der 60er Jahre, aber auch an Zeiten des Mangels denken. Als nach dem zweiten Weltkrieg moderne Baustoffe rar waren und auf althergebrachte Konstruktionsmethoden mit Lehm und Stroh zurückzugegriffen wurde, um neuen Wohnraum zu schaffen. Der güldene Grappa der Arbeit „Schnaps“ lädt ein, den Staub herunterzuspülen und die Schönheit im Schutt zu begießen. Salute!
Marina Rüdiger