FILIALE

Sebastian Volz
Glück
Oct 12Nov 16 2024

HÖLLENTHEATER

Sieht man sich die Skulpturen und Bilder von Sebastian Volz an, wird man in eine skurrile Welt gerissen. Man begreift sofort, dass es sich nicht um eine Fantasiewelt handelt. Jedes der Bilder, jede Skulptur, verweist auf unsere geteilte Welt: auf die soziale Welt, samt ihren Boshaftigkeiten, überhasteten Urteilen, zur Routine gewordenen Gemeinheiten, denen jeder, der sie bewohnt, ausgesetzt ist, aber als deren Agent er auch fungiert. Es gibt kein Außerhalb. Jeder steckt mittendrin im Urteilsszenario, das er noch gegen sich selbst aktiviert. Jedes Selfie drückt Unsicherheit aus. In der Überheblichkeit spiegelt sich die Verzweiflung aller, die, wenn auch widerwillig, zu begreifen begonnen haben, dass der Boden, auf dem sie sich bewegen, löchrig ist. Die sozialen Bande können sich jeden Moment auflösen. Dann wäre das Leben ein Fallen und Stürzen. Und das ist es ja auch. Auf keine Verbindung ist Verlass. Jede Freundschaft trägt den Keim der Gemeinheit in sich oder des Verrats. Rette sich, wer kann, – aber wohin, da es kein Außerhalb gibt? Das Leben in solchen Zusammenhängen ist nur um den Preis der Paranoia zu haben. Volz‘ Bild- und Formwelten sind paranoisch, weil die Paranoia das Gesetz des unter ständiger Beobachtung stehenden Menschen im digitalen Zeitalter ist. Überall sind Kameras in den großen Städten, während in den kleinen Städten die soziale Kontrolle über böse Blicke erfolgt. Man ist ständig unter Beobachtung. Es gibt so viele Richter wie es Menschen gibt. Niemand kann sich von der richterlichen Anmaßung ausnehmen. „Die Hölle, das sind die anderen“, steht bei Jean-Paul Sartre. Wir sind uns selbst die Hölle, insofern wir uns unaufhörlich bewerten und dabei nie genug sind. Das ist es, was man Narzissmus nennt.

Nicht überzogenes Selbstbewusstsein, sondern durch Grandiositätsinszenierung sich negativ ausdrückendes Minderwertigkeitsgefühl. Wo, wenn es so ist, wäre hier Platz für das, was wir Glück nennen, ohne zu wissen, was genau wir darunter verstehen? Was Volz‘ Arbeiten, die auch Denkbilder darstellen, die die prekäre Identität des Menschen in der heutigen Bilderwelt verhandeln, nahelegen, ist Reflexion: Eine Art Innehalten im Chaos des eigenen Begehrens samt seiner Glücksvorstellungen. Was will ich eigentlich, indem ich will, was ich will? Warum will ich, was ich will oder mir wünsche? Wer hat mir meine Wünsche eingeflüstert, von denen ich mir einbilde, dass sie meine eigenen sind? Die Fleischköpfe scheinen aus der Begehrensdynamik ausgeschert zu sein. Sie wirken dumpf und sind es vielleicht. Vielleicht haben sie den Vorteil, sich nicht (mehr) am gesellschaftlichen Urteils- und Erniedrigungschaos zu beteiligen. Als hätten sie es hinter sich, sind sie nun unerreichbar für das soziale Höllentheater. Sie gehören ihm bestenfalls noch als Relikte an. Manche fallen noch durch eine fiese Gesichtsphysiognomie mit bösem Blick auf. Wie wir spätestens seit dem heiligen Augustinus wissen, zeichnen sich Neid und Missgunst durch solche Blicke aus. Aber auch die Gequältheit der Menschen, die immer mit sich und den anderen unzufrieden sind. Die Kraft und irritierende Schönheit dieser Malerei hat mit ihrer Kompromisslosigkeit zu tun. Sie entführt nicht in eine andere Welt, sondern schildert diese hier, die einzige, die wir kennen: Welt, die ohne Ausweg bleibt. Man muss an Samuel Beckett denken, der seine Figuren in der Vergeblichkeit verharren lässt. Ist die Vergeblichkeit einmal eingesehen, öffnet sich zwar kein Ausgang, der Weg zum Glück erweist sich als trügerisch. Was aber bleibt, ist ein durch die Einsicht in die Verfahrenheit menschlicher Existenz freigesetzter Humor, der den Blick auf sich und die anderen milder ausfallen lässt.

Marcus Steinweg